Heute habe ich eine interessante Anfrage bekommen, ein Anbaufreund schrieb, dass er eine Chilipflanze im Garten hat, die fleißig nach oben wächst, sich aber partout nicht verzweigen will. Der Haupttrieb teilt sich nicht. Er wünscht sich aber einen buschigeren Wuchs.

Von Natur aus wachsen die meisten Pflanzen zuerst einmal stark nach oben. Auf diese Weise sichern sie sich eine gewisse Höhe, um sich besser gegen ältere Pflanzen durchsetzen zu können, um ihren Standort zu sichern. Vor allem tropische Chili Sorten zeigen einen baumähnlichen Wuchs mit einem relativ langen kräftigen Stiel und einer Blätteranordnung, die an eine Baumkrone erinnert. Die Früchte hängen dann wie Lampions von oben verborgen unter dem Blätterdach. Der Grund liegt in der unglaublichen Fülle an Pflanzen, die sich dort auf den vorhandenen Standorten drängen. Wer schnell ist, gewinnt an Boden.

Pflanzen wachsen weniger über Zellteilung, sondern vielmehr über Zellstreckung. Dieses Streckenwachstum kann durch das Kappen des Haupttriebs unterbrochen werden. Die Chilipflanze wird gezwungen neue Wachstumsspitzen auszubilden.

Diese Wirkung kann man sich als Chiligärtner nun zu Nutze machen, denn wenn sich die Chili Pflanze reich verzweigt, hat sie mehr Möglichkeiten Blüten anzusetzen, diese reifen dann zeitlich versetzt ab, was die Blühperiode verlängert und dadurch auch zu einer längeren Ernteperiode und höherem Ertrag führen kann. Dieses Prinzip wird bei vielen Gemüsepflanzen angewendet. Viele kappen meist im Juni die Haupttriebe von Tomate, Gurke oder Melone, damit die Pflanzen schön durchtreiben.

Warum das so ist, hängt mit der sogenannten Apikaldominanz zusammen. Diese beschreibt bei Pflanzen die Hemmung der Entwicklung von Seitenknospen und somit seitlichen Trieben und Ästen durch den Haupttrieb. Die Chilipflanzen bilden Wachstumshormone (Auxine) in der Triebspitze. Diese vermitteln über Konzentrationsgradienten unter anderem die Zellstreckung, Zellteilung und auch die Zuwendung zum Licht. Das Hormon ist in der ganzen Pflanze präsent und sowohl eine besonders tiefe, als auch eine besonders hohe Konzentration setzt lokal Stoffwechselprozesse in Gang oder blockiert diese. Auf diese Weise aktiviert Auxin die Zellstreckung nur im Spross. Der Einfluss des Auxins in der Wurzel ist genau umgekehrt, dort wird die Streckung gehemmt. Warum das so ist, weiß momentan noch keiner so genau. Es wird aber viel weltweit daran geforscht.

Die Auxin Wachstumshormone werden also von der Triebspitze abwärts in die Wurzeln transportiert und unterdrücken auf dem Weg nach unten die Ausbildung der Seitentriebe. Wird die Triebspitze nun entfernt, entfällt auch die Blockade.

Der Haupttrieb und später die daraus entwickelten neuen Triebe können bis zur Bildung des ersten Fruchtansatzes immer wieder gekappt werden. Wichtig ist, den Haupttrieb erst nach 5-6 Blattbildungen zu stutzen, damit genug Reserveaustriebsmöglichkeiten verbleiben. Wie genau gestutzt werden soll, hängt von dem gewünschten Wuchs ab und wie kräftig die Pflanze gewachsen ist. Bei Trockenheit sollten aufgrund der eingeschränkten Stoffwechselaktivität und des vorhandenen Stresslevels keine Triebe gekappt werden.





Wie bereits erwähnt, möchte die Chilipflanze zur stärksten Lichtquelle wachsen, um ihre Energieversorgung mittels Photosynthese optimal nutzen zu können. Dieses gerichtete Wachstum ausgelöst durch einen Lichtreiz wird Phototropismus genannt. Vermittelt wird das gerichtete Wachstum wahrscheinlich ebenfalls durch die Auxine.

Wer seine Chili auch mal in einer Growbox gezogen hat, kann beobachten, dass bei reflektierenden Seitenwänden die Pflanze sehr viel buschiger wächst als in Kübel oder Freiland. Aufgrund der Reflektion kommt der Lichtreiz nicht mehr gebündelt bei der Pflanze an. Durch das diffuse Störlichts laufen die Stoffwechselprozesse in der Pflanze, die auf den stärksten Lichtreiz hin entwickelt sind, nicht mehr gerichtet ab. Das Licht kommt von allen Seiten und regt auch in den anderen Pflanzenteilen die Ausbildung von Triebspitzen zum Richtungswachstum an, da kein eindeutiger Hormongradient aufgebaut werden kann.

Dieses Phänomen zeigt sich übrigens auch im Weltall. Da Auxin auch bei dem gerichteten Wachstum zum Erdmittelpunkt hin eine Rolle zu spielen scheint, kann fehlende Schwerkraft oder permanentes Drehen der Pflanze ebenfalls zu einem chaotischen, sprich gedrungen buschigem Wachstum führen, da kein eindeutiges Richtungswachsen durch einen klaren Hormongradienten stattfinden kann.

Der Phototropismus wird auch ausgenutzt, wenn der Hauptrieb bewusst auf dem Boden fixiert wird. Die Chilipflanze will ihre Triebe immer senkrecht direkt auf die Lichtquelle zuführen, damit sich ihre Blätter im optimalen Winkel zum einfallenden Licht entwickeln können. Wird der Haupttrieb nun um 90 Grad gewendet auf den Boden gelegt, bilden sich aus den Blattachseln senkrecht nach oben wachsende zahlreiche neue Haupttriebe aus. Manch einer konnte dieses Phänomen bereits unfreiwillig erleben, wenn er seine Chilipflanze nicht rechtzeitig angebunden hat.

Für alle, die es noch etwas theoretischer mögen, hier noch ein Paar Hintergründe zum Auxin.

Das Auxin so viele und zum Teil genau gegensätzliche Wirkungen in der Pflanze vermittelt, ist eine höchst faszinierende Sache und Gegenstand vieler Forschungsarbeiten. Der physiologische Vorgang ist hoch komplex, da Auxin nicht einen reine an-aus, ja-nein Effekt hat, sondern Ausgangspunkt für ein Signalnetzwerk darstellt, dass ähnlich eines neuronalen Netzwerks über verschiedene Gradienten, also Mengen-Konzentrationen Signalwege steuert, die an ihrem Ende die unterschiedlichsten Auswirkungen haben. Dadurch entstehen unterschiedliche Regulationsebenen, die an die verschiedenen Erfordernisse über Jahrtausende der Evolution angepasst wurden.

Die Wirkung des Auxins entfaltet sich über verschiedene Transportmechanismen außerhalb- und innerhalb der Pflanzenzellen dann im Zellkern. Dort wird das Wachstumshormon von Proteinen erkannt und gebunden. Durch die Bindung werden kaskadenartig weitere Proteine aktiviert oder blockiert wodurch das Wirkungs-Signal entsteht. Am Ende der Signalübertragung werden Gene aktiviert oder blockiert die für eine adäquate physiologische Reaktion der Pflanze notwendig sind. Das können dann zum Beispiel Gene mit einer positiven oder eben negativen Wachstums-Effekt sein.

Jetzt setzen wir aber noch eines drauf…Warum Auxin so viele unterschiedliche Reaktionen der Pflanze vermitteln kann, liegt wahrscheinlich an einer Besonderheit von Pflanzen, die auch bei Verletzungen zum Tragen kommen kann. Und zwar können Pflanzen (wurde noch nicht bei allen Arten nachgewiesen) ihren Genomsatz, also die Menge der vorhandenen Gene, reizinduziert oder spontan verdoppeln. Dies geschieht bei manchen Arten als Antwort auf eine Verletzung, wodurch eine schnelleres differenziertes Nachwachsen der beschädigten Pflanzenteile möglich wird.

Durch die Verdoppelung des Genoms, also der Kopien der in der Pflanzenzelle vorliegenden Gene, gewinnt die Pflanze einen großen genetischen Spielraum für mögliche Mutationen. Da die Gene in mehr als einer Kopie vorliegen, können Mutationen auch an wichtigen Stoffwechselvermittelnden Genen vorkommen, ohne die Pflanze lebensunfähig zu machen. Dadurch können sie sich fortwährend an sich verändernde klimatische Bedingungen anpassen. Die genetische Flexibilität ist quasi ein Ersatz für die fehlende Mobilität. Und Ursache für die Entstehung der vielen unterschiedlichen Auxin bindenden Proteine und deren vielfältige vermittelte Reaktion. Häufig wird ein bestimmtes Pflanzengewebe erst durch Umwelteinflüsse zur Bildung bestimmter Stoffe angeregt und nur dadurch konnten Pflanzen über die Jahrmillionen so gut überleben.

Und zum Abschluss: Interessanterweise wurde Auxin zuerst beim Menschen nachgewiesen, bevor es in Pflanzen gefunden wurde. Auxin ähnelt unserem Neurotransmitter Serotonin und wir Menschen können es auch herstellen. Aber was das wohl zu bedeuten hat….? Muss die Forschung noch zeigen.

Und da das jetzt alles etwas viel Theorie war, hier zusammenfassend die praktischen Empfehlungen. Wer nachhelfen möchte, dass seine Chilipflanze einen schön buschigeren Wuchs zeigt, hat folgende Möglichkeiten:

  • Kappen der Spitze des Haupttriebes nach 5-6 Blattpaaren und regelmäßiges Kappen der Triebspitzen bis zum ersten Fruchtansatz. Voraussetzung ist, die Pflanze ist kräftig genug, die Spitzen sind noch jung und es werden nicht zu viele auf einmal gekappt.
  • Streulicht anwenden. Wächst die Pflanze im Innenraum kann durch zusätzlich angebrachte Lichter, Reflektion-Matten oder durch einen passenden Standort, der Lichteinfall gestreut werden, wodurch die Pflanze versucht, gleichzeitig in jede Lichtquellenrichtung zu wachsen und sich dafür verzweigt. Im Außenbereich kann der Effekt durch das Anbringen eines reflektierenden Schildes, Vorhangs oder der weißen Hauswand ebenfalls ausgenutzt werden.
  • Triebe am Boden fixieren. Wird der Haupttrieb am Boden fixiert, werden aus den Blattachseln viele neue Triebe gebildet. Dies muss allerdings bereits im Jungpflanzenstadium erfolgen, da der Stil noch „weich“ sein muss.
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