Witze

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„Das kannst du nicht bringen, Alter“, sagte ich zu Jens, mit einem deutlichen Unterton der Besorgnis. Jens hatte mal wieder so eine seiner „grandiosen Ideen“. Ihr müsst wissen, Jens und grandiose Ideen – das ist wie Benzin und Feuerzeug: theoretisch spannend, praktisch oft eine Katastrophe.
Dieses Mal hatte er sich zehn Stück der schärfsten Chili der Welt besorgt. Keine Ahnung, wie die hießen. Irgendwas mit „Reaper“, was dir eigentlich schon sagen sollte, dass du die Finger davon lassen solltest. Aber Jens? Nein. Jens wollte das große YouTube-Ding draus machen. Ich sollte ihn dabei filmen, wie er sich diese Dinger reinzieht, und das Ganze sollte viral gehen.
Ich kann euch jetzt schon sagen: Es wurde nie was mit dem Video. Aus Gründen. Aber lasst mich euch das Desaster in aller Ruhe erzählen.
„Alter, das ist Unterhaltung pur“, sagte Jens, während er die Chilis aus einer Plastiktüte holte, als wären es kleine Diamanten. „Die Leute lieben sowas. ‚Schärfste Chili der Welt‘ – Zack, Klicks ohne Ende!“
„Ja, oder einen Krankenwagen“, murmelte ich.
Aber Jens war in seinem Element. Er setzte sich an den Küchentisch, legte die Chilis vor sich aus wie ein Dealer, der gerade seinen neuesten Stoff präsentiert, und grinste mich an. „Komm, Kamera an. Das wird episch!“
Ich seufzte, startete mein Handy und dachte: Das endet nicht gut.
Die erste Chili war schon spektakulär. Jens nahm sie in die Hand, hielt sie wie einen kleinen Pokal hoch und biss rein. Voller Überzeugung. Voller Stolz. Voller Dummheit.
Die ersten paar Sekunden waren okay. Er kaute, grinste, und ich dachte: Vielleicht geht das ja doch klar. Aber dann – dann kam der Moment, in dem sein Gesicht sich langsam in etwas verwandelte, das man am besten mit „ausgeweideter Hummer“ beschreiben kann. Knallrot, Augen groß, Schweißausbrüche.
„Alles gut?“ fragte ich, während ich versuchte, die Kamera ruhig zu halten.
„Ja… ja… alles gut!“ Jens grinste, aber es war ein Zwangsgrinsen, das aussah, als hätte er einen Elektroschocker verschluckt. „Schmeckt… großartig!“
Dann griff er zur zweiten Chili. Warum? Niemand weiß das. Jens ist der Typ Mensch, der glaubt, dass man eine schlechte Idee nur oft genug wiederholen muss, bis sie besser wird.
Nach der dritten Chili begann er zu husten. Nicht so ein kleines, dezentes Hüsteln, sondern das volle Programm. Er klang wie ein defekter Staubsauger, während er nach Luft rang. Tränen liefen ihm übers Gesicht, und ich fragte mich, ob ich die Kamera weglegen und lieber die 112 wählen sollte.
„Jens, ernsthaft, hör auf“, sagte ich.
„Nein… nein! Ich… schaff das!“ Er griff zur vierten Chili.
Ihr müsst euch das vorstellen: Jens, heulend, schwitzend, mit einem Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen „Ich sterbe gleich“ und „Das wird legendär“ lag. Und dann… dann kam der Moment, in dem alles endgültig kippte.
Er sprang auf, riss den Kühlschrank auf und begann, Milch direkt aus dem Karton zu trinken. Aber die Milch half nicht. Nichts half. Er röchelte, lief wie ein Irrer durch die Küche, hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn und schrie: „ES BRENNT! ES BRENNT ÜBERALL!“
Ich stand da, immer noch filmend, weil – na ja, wenn du schon in der Hölle bist, kannst du auch das beste Material mitnehmen, oder?
„Hör auf zu filmen und hilf mir!“ schrie Jens irgendwann.
Ich legte das Handy weg, schob ihm einen Joghurt zu, und der Rest des Abends war eine Mischung aus Schmerz, Reue und der Frage, warum wir überhaupt Freunde waren.
Als Jens sich einigermaßen beruhigt hatte – was ungefähr eine Stunde, drei Liter Milch und zwei Becher Joghurt später war – blickte ich ihn tief an. Dieser Moment war wichtig. Es war der Moment, in dem ich, als sein Freund, eine Lektion fürs Leben vermitteln musste.
„War ’ne Scheißidee?“ fragte ich.
Er nickte, das Gesicht noch leicht gerötet, die Augen verquollen. „Oh ja!“
„Gut.“ Ich lehnte mich zurück, überlegte kurz und setzte dann den zweiten Schlag an. „Ich will dich jetzt nicht unnötig in Stress versetzen, Jens. Aber… die müssen morgen auch wieder raus.“
Er blinzelte. „Wie meinst du das?“
Ich ließ ihm einen Moment Zeit, damit sein Gehirn sich an die Wahrheit herantasten konnte, die ich gerade verkündete.
„Naja, die werden morgen deine Hinterpforte in Flammen aufgehen lassen.“
Man konnte richtig sehen, wie in seinen Augen etwas klickte. Das war der Moment, in dem der Groschen fiel – nein, nicht fiel, eher donnernd in den Abgrund krachte.
„Oh fuck…“ flüsterte er.
„Ja.“ Ich nickte langsam. „Das ist wie ein zweiteiliges Drama, Jens. Heute war der Prolog. Morgen kommt der Feuersturm.“
Er starrte mich an, als würde er hoffen, dass ich lüge. Aber ich sah, wie er innerlich schon die Szenen durchging. Die Panik. Der Schmerz. Der mögliche Verlust von Menschenwürde.
„Was… was kann ich machen?“ fragte er schließlich, und in seiner Stimme lag eine Verzweiflung, die ich sonst nur von Leuten kenne, die im Stau sitzen, während sie dringend aufs Klo müssen.
„Tja.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht viel. Vielleicht… Feuchttücher bereitlegen. Und denk dran: nicht drücken, einfach atmen.“
„Atmen?“ fragte er entsetzt.
„Ja. Wie beim Yoga. Oder einer Geburt. Am besten machst du vorher eine Kerze an – fürs Ambiente.“
Jens stöhnte. Er ließ den Kopf auf den Tisch fallen und murmelte etwas, das sich anhörte wie „Warum bin ich so dumm?“
„Weiß ich auch nicht“, antwortete ich ehrlich. „Aber hey, vielleicht lernst du ja was daraus.“
Am nächsten Tag bekam ich eine Nachricht von Jens. Es war kurz, prägnant und voller Schmerz: „Du hattest recht. Es brennt wie die Hölle.“
Ich antwortete nur mit einem Bild von einer Chili und der Nachricht: „Möchtest du noch sechs davon haben? Sind noch übrig.“
Ich bekam keine Antwort. Aber ich bin sicher, Jens hat was gelernt. Zumindest hoffe ich das.
Das Video? Wurde nie hochgeladen. Jens wollte es löschen, weil er „nicht wie ein Idiot aussehen wollte“. Aber ich? Ich hab’s immer noch. Und irgendwann, wenn er mal wieder eine „grandiose Idee“ hat, zeige ich es ihm. Zur Sicherheit.
 
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