Einfluss verschiedener Keimhilfen auf diverse Chiliarten

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Wie ihr alle wisst, gibt es verschiedene (Haus-)Mittel, mit denen wir Chilibauern uns eine schnelle und verbesserte Keimung erhoffen, teils soll das ganze sogar wissenschaftlich belegt sein. Wer etwas tiefer in der wissenschaftlichen Literatur gräbt, stellt schnell fest: Ja, einige Substanzen haben wohl wirklich einen positiven Effekt auf die Keimung, aber so gut wie alle wissenschaftlichen Studien nutzen viele Hilfsmittel, die nur für kommerzielle Züchter relevant sind und, fast noch wichtiger: es wird fast ausschließlich Capsicum annuum untersucht.

@Anfänger2013 hatte ja auch schon mal einen großen Keimversuch gestartet, mit der Ergebnis das Samen, der in einer Salpeterlösung oder in destilliertem Wasser eingeweicht wird deutlich besser keimt als in Leitungswasser.

Nico (@germanico) und ich haben uns also die große Frage gestellt:
Wie wirken sich Keimhilfen, die auch für Laien zu beschaffen sind, auf verschiedene Chiliarten aus?

Wir wollten das Ganze ebenfalls wissenschaftlich angehen und haben echt eine Menge Samen für die Wissenschaft geopfert! :)

Nico hat dafür einen Inkubator gebaut, sodass wir konstante 29 +/- 1 °C und 85 +/- 5 rF für die Keimung bereitstellen konnten. Gekeimt wurde auf angefeuchtetem Filterpapier.

Unsere Sorten (alle im Herbst 2016 von selbstgezogenen Pflanzen geerntet):
  • C.annuum "Ancho Poblano"
  • C.pubescens "CAP 357"
  • C.eximium "Ulupica from La Paz"
  • C.baccatum var. baccatum "Inca Surprise" (wilde Baccatum)
Erfüllend ist die Liste natürlich nicht, und man könnte auch anmerken, dass wir noch weitere Arten (frutescens, chinense, baccatum var. pendulum, etc.) hätten dazu nehmen können. Aber erstens brauchten wir ausreichend Saatgut von jeder Sorte (dazu gleich mehr), zweitens sollte das ganze ja irgendwie noch halbwegs überschaubar bleiben und drittens haben wir immerhin überhaupt mal noch andere Arten als C.annuum.

Nun, da die Arten feststanden, mussten wir die Keimhilfsstoffe auswählen:
  • keine Vorbehandlung (als Kontrolle und gleichzeitigen Keimtest)
  • destilliertes Wasser
  • Acetylsaliclsäure (= Aspirin)
  • Salpeter (KNO3, Kaliumnitrat)
  • Gibberellinsäure (GA-3, ein pflanzliches Hormon)
Ganz wichtig waren uns GA-3, KNO3 und der Vergleich zu Wasser bzw. gar keiner Vorbehandlung. ASS ist leicht zu bekommen und soll nach verschiedenen Quellen auch einen Effekt haben. So Keimbrühen wie Kamillentee haben wir aber komplett rausgelassen.

Das bedeutet also 4 Sorten mit je 5 unterschiedlichen Behandlungsmethoden (also 20 verschiedene Ansätze). Die ISTA (Internationale Saatgut Test Gesellschaft, ja gibt es wirklich) empfiehlt mehrere Hundert Samen für eine aussagekräftige Bewertung. Wir haben uns entschieden, jeweils 50 Korn pro Art und Vorbehandlung zu untersuchen (das macht schon 20*50 Korn, also 1000 Korn insgesamt). Und da wir noch ein wenig Statistik betreiben wollten, brauchen wir mehrfache Messungen. Also haben wir das gesamte Experiment insgesamt 3 mal durchgeführt (somit sind wir bei 3000 Korn, die der arme Nico sortieren, wiegen, vorbehandeln, aussähen und täglich kontrollieren musste... :) ).

Zur Auswertung haben wir die Gesamtkeimung (also % gekeimt nach 30 Tagen), die mittlere Keimdauer (MGT, gewichteter Mittelwert der einzelnen Keimdauer) und die Zeit bis 50% Keimung (G50, der Zeitpunkt, an dem 50% der Samen keimten) genommen. Damit kann man das Keimverhalten schon ganz gut beschreiben.

Gesamtkeimung:

Es fällt auf, dass die Annuum (blau) durch die Bank weg sehr gut keimen, ganz egal, welche Vorbehandlung. Selbst gar kein Einweichen liefert praktisch die gleichen Ergebnisse wie jede andere Methode. Die Annuum scheinen sehr vital gewesen zu sein und sind daher eher wenig aussagekräftig was die Methoden angeht.
Interessanter sind da schon die Rocotos (schwarz). Die keimen zwar auch schon sehr gut ganz ohne Einweichen und das bleibt im Grunde auch unabhängig von der Methode. Mit einer Ausnahme: ASS. Bei den Rocotos hat Aspirin als Keimhilfe einen negativen Effekt, es keimen deutlich weniger.
Bei den Wildsorten Eximium (rot) und der Inca Surprise (grün) kommt dann der Effekt der Keimmethode zum tragen: Einweichen mit Wasser erhöht die Keimrate noch nicht wirklich, ASS führt auch hier zu schlechteren Ergebnissen, aber sowohl Salpeter und besonders GA-3 erzielen deutlich höhere Keimraten.

Keimgeschwindigkeit (je kleiner der Wert, desto schneller):

Hier zeigt sich im Grunde das gleiche Bild. ASS verlangsamt die Keimung, Wasser allein hat etwa den gleichen Effekt wie kein Einweichen, KNO3 und GA-3 beschleunigen die Keimung und machen sie "uniformer", das bedeutet dass die Samen eher gleichzeitig keimen.

Kumulierte Anzahl der gekeimten Samen über die Zeit. keine Vorbehandlung (-■-), Wasser (---), ASS (-▲-), KNO3 (···), GA-3 (―)

Dieses Bild fasst das ganze auch nochmal zusammen. Je steiler die Kurve, desto schneller die Keimung. Je weiter nach oben die Kurve geht, desto mehr Samen keimen. Man sieht auch schön, dass KNO3 und GA-3 die Gesamtzahl gekeimter Samen erhöhen.

Fazit - Was bedeutet das für uns/euch?

  1. Einweichen in Wasser bringt genauso viel/wenig wie gar nicht Einweichen. ABER: Die Daten beziehen sich im Prinzip auf die Keimbeutelmethode, wo die Samen auf einer feuchten Unterlage bei hoher Luftfeuchte liegen. Für eine Aussaat in Erde kann das Einweichen in Wasser durchaus helfen.
  2. Salpeter und Gibberellinsäure beschleunigen/verbessern tatsächlich die Keimung, besonders bei schwerer keimenden Arten (und wahrscheinlich auch älterem Saatgut). ABER: Bei halbwegs frischem Saatgut ist es nicht nötig.
  3. Wildsorten keimen tatsächlich etwas langsamer/schwerer.
Wer unsere Veröffentlichung nochmal im Detail (auf Englisch) nachlesen möchte, kann dies hier tun: Link zum pdf.

Und nun: Habt ihr Fragen, Anregung, Kritik? Ich versuche, möglichst umfassend und verständlich zu antworten. ;)
 
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Kurze Rückmeldung zur Verständlichkeit:
1a!
Der englische Text war für mich schon super verständlich und die deutsche Zusammenfassung (ist ja fast schon alles aus dem Original) übertrifft es jetzt nochmal! Natürlich fällt die wissenschaftliche Darstellung bei einer Zusammenfassung etwas schlechter aus, muss sich aber auch nicht verstecken!

Finde es super, dass du es für alle verständlich gemacht hast :thumbsup:
 
Richtig gute Aufschlüsselung der Ergebnisse und sehr verständlich für den "Laien" wie mich :happy:

Mich persönlich hätte noch interessiert wie es mich Kamillen/Schwarz/etc. -Tee aussieht...da ja oft in allen möglichen Foren darüber diskutiert und gefachsimpelt wird.

Aber echt top umgesetzt! Respekt
 
Find ich Klasse! Die englische Version war für mich als Abendlektüre nicht so ganz das richtige.

Tolle Arbeit und vielen Dank für die Zusammenfassung in deutsch.
 
Mich persönlich hätte noch interessiert wie es mich Kamillen/Schwarz/etc. -Tee aussieht
Das erhöht nur die Gefahr der Verkeimung des Saatgutes.
Vor einigen Jahren wurde hier schon mal das getestet. Das Ergebnis war, dass Einweichen in Kamillentee keine Vorteile bringt im Vergleich zum Einweichen in Leitungswasser.
 
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Auch von mir ein Danke für die Versuchsreihe und die Arbeit, die Ihr Euch gemacht habt! :thumbsup:
Jetzt brauche ich unbedingt Gibberellinsäure. :)
 
Ein sehr, sehr interessantes Paper! Danke euch beiden für die viele geleistete Arbeit und auch die deutsche Zusammenfassung.

Sehr spannend fnde ich vor allem, wie sich die Gesamtkeimrate bei den Wilden beeinflussen lässt, bzw. wie schlecht die dann doch ohne besondere Maßnahmen ist im Vergleich zu den Kultursorten. Vor allem, wenn man nur wenige Körnchen hat, sind also Zusatzmaßnahmen mehr als sinnvoll.
 
Sehr gute Arbeit mit belastbaren Ergebnissen:thumbsup:
War die Veröffentlichung mit beruflichem Background oder privat bzw. als Hobby?

Fragen:

1. Warum sind die Keimquoten der Baccatum im Allgemeinen so gering? Erfahrungsgemäß sollten die bei frischem Saatgut auch ohne Behandlung deutlich höher liegen?
2. Mich würde weiterhin auch der Einfluss anderer Salze interessieren. Ist ein Effekt nur bei KNO3 gegeben? Wurde der Einfluss der Ionenstärke schonmal untersucht?
 
Ein Frage hätte ich: im Paper steht bei der Konzentration der GA 1 %, in dem Thread hier wird 750 ppm erwähnt. Hat GA tatsächlich eine so große Bandbreite in der Anwendungskonzentration? Welche würdet ihr empfehlen?
 
War die Veröffentlichung mit beruflichem Background oder privat bzw. als Hobby?

Komplett Privat. Hatte nichts mit meiner Uni etc. zu tun, daher auch die Angabe als "Independent Researcher". Nur der naturwissenschaftliche Hintergrund... :D

1. Warum sind die Keimquoten der Baccatum im Allgemeinen so gering? Erfahrungsgemäß sollten die bei frischem Saatgut auch ohne Behandlung deutlich höher liegen?
Woran das genau liegt, können wir nicht sagen. Inca Surprise ist eine wilde Baccatum, die domestizierten Sorten keimen ja deutlich freudiger. Aber die Keimquote war in allen drei Durchgängen so niedrig.

2. Mich würde weiterhin auch der Einfluss anderer Salze interessieren. Ist ein Effekt nur bei KNO3 gegeben? Wurde der Einfluss der Ionenstärke schonmal untersucht?
Ja, dazu gibt es einige Veröffentlichungen (suche nach: "salt tolerance", "salt stress" etc.). Aber auch hier nur Untersuchungen zu C.annuum.

Ein Frage hätte ich: im Paper steht bei der Konzentration der GA 1 %, in dem Thread hier wird 750 ppm erwähnt. Hat GA tatsächlich eine so große Bandbreite in der Anwendungskonzentration? Welche würdet ihr empfehlen?
Nico hatte GA mit 1% verwendet, andere Paper nutzen es bis 2%. Mit 750 ppm macht man aber sicher auch nichts verkehrt. Da spielt dann auch immer die Einwirkdauer mit ein Rolle (wobei die bei Semillas auch bei 24h liegt).
 
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