Liebe Freundinnen und Freunde,
was soll ich sagen... Ganz ehrlich wird mir ein wenig schlecht wenn ich das lese! Also den ursprünglichen Unmut von Harald, weil wir trotz knapper Kassen die Griechen unterstützen indem wir ihnen Geld leihen (das Problem ist also der Zweifel, dass Griechenland planmäßig wieder auf die Beine kommt und wir das Geld wiedersehen) kann ich noch akzeptieren. Die griechische Regierung hat gehörigen Mist gebaut und die EU zudem über die Haushaltslage belogen, dass man das nicht unbedingt belohnen möchte ist eine verständliche erste Reaktion.
Zu der Sorge dass uns hier jemand "um die Rente bringt" kann ich nur sagen: was für eine Rente? Die demografische Entwicklung ist eine Katastrophe für unsere umlagefinanzierte Rente, Rentenkürzungen wurden in den letzten Jahren beschlossen, das Eintrittsalter angehoben, Besteuerung der Rente eingeführt, Nullrunden beschlossen und zukünftig müssten Renten eigentlich kontinuierlich gesenkt werden, auch wenn dies aktuell offiziell ausgeschlossen wird. Wer heute eine Auskunft von der Deutschen Rentenversicherung bekommt, sollte mal die Zahlen ohne die absolut unrealistischen Rentensteigerungen zur Hand nehmen und die Zahl um die Inflation (Kaufkraftverlust durch Preissteigerungen) runterrechnen. Bei 3% Inflation ist das Geld nach 23 Jahren noch die Hälfte wert, nach 36 Jahren ein Drittel.
Mal zum Beispiel: Du bist 30 Jahre alt, verdienst 2500 brutto / 1500 Netto, dann bekommst Du in 37 Jahren 950 Euro Rente (38% vom Brutto), die dann den Wert von heute 308 Euro besitzt. Selbst höhere und optimistischere Rentenhochrechnungen werden durch die Inflation zur Lächerlichkeit reduziert. Jetzt sind auch etliche hier älter, vielleicht bezieht der ein oder andere sogar noch mal Gelder aus einer DRV ähnlich wie es sie jetzt noch gibt. Das Modell hat jedenfalls ausgedient.
Warum ich mich darüber auslasse hat zwei einfach Gründe: der erste ist, dass dies für mich als ungebundenen Finanzberater mein täglich Brot ist, zum andern weil die desaströse Lage des deutschen Rentensystems nicht neu ist. Die demographische Entwicklung ist lange bekannt. Es braucht keine Magie, um festzustellen, dass sich die Relation von Beitragszahlern zu Rentenempfängern dramatisch verschlechtert. Während der gute Adenauer zu seiner Zeit noch ein tragfähiges Verhältnis von 8:1 hatte, steuern wir aktuell auf ein absolut unmöglich tragbares 1:1 hin. Hier hilft aber gar nichts mehr: das System kann diesen Umstand mit keinen Mitteln tragen. Der drohende Kollaps ist also bekannt. Tatsächlich hört man hier und da mal in leisen Tönen, der Einzelne solle auch privat vorsorgen, aber ein wirkliches Wachrütteln kommt ebenso wenig wie der wirkliche Aufschrei in der Bevölkerung, den sich hier meiner Einschätzung nach so viele wünschen.
Wieso kommt dann nichts, z.B. von der Versicherungswirtschaft? Schwerlich zu beweisen, aber es liegt hier wohl ein stilles Abkommen vor. Die Altersvorsorgeanbieter machen keine Plakate mit Omis die im Müll nach Pfandflaschen kramen und schreiben drüber "Ihre Rente", im Gegenzug lässt der Statt die Unternehmen in Ruhe und hilft hier und da mit Steuergeschenken nach.
Ihr seht also, die Ka**e ist bei uns selbst gehörig am dampfen, Griechenland ist nicht unser vorrangiges Problem, sondern dass 50% der Bevölkerung im Sauseschritt auf Altersarmut zusteuern.
Ich kann nur jedem, der jung genug und dazu in der Lage ist zurufen: meckert nicht sondern nutzt die Chance euch eure finanzielle Freiheit zu sichern indem ihr euch vom Staat unabhängig macht.
Weiter im Text: Ratingagenturen: lächerliche Einrichtungen. Wie sinnvoll ist bitte ein Unternehmen, dass bezahlt wird von dem, der getestet wird? Eine interne Email aus einem solchen Haus beinhaltete dem Sinn nach "Die könnten uns auch Kuhmist bewerten lassen, das gäbe trotzdem ein AAA+++ mit Sternchen"!
Wenn Griechenland einfach so Pleite geht, hat das nichts mit persönlichem Pech zu tun. Das werden wir in Deutschland auch nicht witzig finden. Diskussionen wer hier Geld zahlt und wer Geld bekommt sind müßig. Solange Deutschland Geld zahlt und dafür Frieden erhält ist das eine super Sache. Um wie viel Geld müssen Abgaben reduziert werden, damit es soziale Unruhen und Bürgerkriege wert ist? Schonmal drüber nachgedacht, dass wir uns durch den europäischen Binnenmarkt in Deutschland ein Loch in den Allerwertesten freuen können? Wer die Zeitung nicht nur zum Grill anmachen benutzt weiß ja, dass Deutschland eine sogenannte Exportnation ist, 85% gingen 2007 in die EU.
Die Leistungen der EU der letzten Jahre und Jahrzehnte sind gigantisch, die Institution weltweit und historisch einmalig. Außerdem ist sie die einzige Möglichkeit die ich sehe, mit der Globalisierung fertig zu werden. Wer immer noch nationalstaatlich denkt, liegt quer zur Realität. Das Verantwortung und Macht in Teilen nach Brüssel abgegeben werden ist nicht jedermann recht, das verstehe ich, aber ich wiederhole es trotzdem: wir werden wohl nie wieder Krieg mit Frankreich führen, und Polen muss nie wieder einen deutschen Überfall fürchten. Was sagt man denn als EU-Ablehner dazu? Ist das nicht unglaublich viel wert? Eure Eltern und Großeltern haben nationalstaatlich motivierte Kriege miterlebt, wer Migrationshintergrund hat vielleicht sogar selber! Sich einigeln, Grenzen dicht machen funktioniert nicht. Klima/Umwelt, trans- und supranationale Konzerne, soziale und sonstige Probleme lassen sich nicht durch einen Schlagbaum abhalten.
Zu den Wahlen in NRW: wenn man schreibt, man wünsche sich dass der Wähler bei der Wahl zeigt, dass er das (die Zahlungen an Griechenland) nicht möchte, wovon reden wir dann? Ich wähle Protest, ich wähle NPD?
Nur weil man zu Hause Probleme hat erst mal Scheuklappen aufsetzen und "ich kümmere mich jetzt erst mal um mich" sagen? Ich glaube nicht, dass der Weg so aussehen sollte...
Ob eine Ministerin im übrigen "türkisch-stämmig" ist oder nicht: wen interessiert das??? Einzig relevant ist die Politik, die sie betreibt!
Zu den vielen süffisanten Bemerkungen über die deutschen Couchpotatoes, die dreisterweise nicht auf die Straße gehn: Mein Vorschlag: beobachtet doch mal, ob ihr euch selbst jetzt nach dem meckern wieder zufrieden aufs Sofa setzt und die Sache als erledigt betrachtet oder doch aus dem Quark kommt. Mit Stammtischparolen bewirkt man nichts. Weder das zetern über "die da oben" noch "die andern, die nichts machen" ist konstruktiv. Wer also auf der Schiene fährt, dass man erst einmal vor seiner eigenen Haustüre kehren soll, der kann das ja mal statt auf Deutschland auf sich selber beziehen.
Wo wir gerade bei Selbstbetrachtungen sind: schon einmal einen Fernseher, Klamotten oder ähnliches auf Raten gekauft? Es gibt nämlich eigentlich nur eine Sache, für die man sich Geld leiht, und das ist eine Immobilie. Wer Geld ausgibt, dass er nicht hat, dem fehlt wie den allermeisten Deutschen finanzielle Bildung. Bitte keine Fehler am Staat korrigieren, die man selber begeht.
Ansonsten sei noch gesagt: ich betrachte die Grundstimmung hier als gefährlich. Ich nehme eine Stimmung aus Verärgerung und Angst wahr, und beides ist doch (vor allem zusammen) ein schlechter Berater. Ich werde mich hüten, hier jemandem was zu unterstellen, aber Tatsache ist, dass solche Geisteshaltungen die Bevölkerung in extreme Richtungen drängen kann. Und das brauchen wir als allerletztes.
In diesem Sinne brauchen wir auch eine BILD-"Zeitung" als allerletztes, die Grundsätzlich Ängste und Ärger in der Bevölkerung aufnimmt und auf verantwortungslose Weise schürt, wenn der Wahrheitsgehalt wie üblich gegen Null strebt.
Auch wenn es für uns immer wieder aufs Neue eine Herausforderung darstellt bitte ich euch offen zu bleiben, eine "sollen die doch irgendwie klarkommen"-Mentalität können wir nicht (mehr) gebrauchen. Das Solidarität manchmal wehtut, dass anderen unsere Hilfe vielleicht manchmal gar nicht verdienen, mag alles stimmen, aber sie bleibt trotzdem eine unverzichtbare Stütze gesellschaftlichen Miteinanders.
Ich freue mich auf eure Antworten. Wer weiß, vielleicht findet sich ja noch ein Zweiter, der eher denkt wie ich...