RE: Samen einfrieren, dass große Experiment!
Exkurs: Lagerung von Samen
Hier im Forum findet man, auch von erfahrenen Züchtern, häufig folgende Aussagen:
• Mein Samen keimt auch noch nach vielen Jahren
• 10 Samen ausgesät und keiner ist gekeimt!
Logisch ist das nur zu erklären durch eine unterschiedliche Samenlagerung.
Gehen wir einmal davon aus, dass bei der
Samengewinnung keine Fehler gemacht wurden:
• Nur Samen aus vollreifen Früchten
• Samen wurde schonend getrocknet (nicht in der Sonne, nicht im Dörrautomat, nicht zu schnell getrocknet)
Es gibt viel Interessante Forschungsberichte, recht einfach ist es in dem Artikel „Seed longevity - slides and notes“ des Royal Botanic Gardens, zusammengefasst.
http://www.kew.org/ucm/groups/public/documents/document/ppcont_018480.pdf
Für die, die kein Englisch mögen, hier die wichtigsten Punkte:
Was passiert bei der Samenalterung?
• Die Enzymakitivtät wird reduziert
• Die Zellmembran wird undicht
• Genetische Schäden entstehen
Die Samenalterung findet allmählich aber kumulativ statt und führt erst zu einer sinkenden Keimrate und letztendlich zu Tod des Samens.
Samen reagiert unterschiedlich auf Trocknung und Lagerung bei niedrigen Temperaturen:
Chilisamen gehört zu Kategorie der Orthodoxen Samen.
Lagerverhalten
Orthodox: Samen kann ohne Schaden getrocknet werden. Gewöhnlich deutlich unter einem Feuchtigkeitsgehalt, der in der Natur auftreten würde. Die Langlebigkeit des Samens erhöht sich mit der Reduktion von sowohl der Feuchtigkeit als auch der Lagertemperatur in einer bezifferbaren und vorhersehbaren Weise für ein breites Spektrum an Lagerbedingungen. (
http://data.kew.org/sid/storage.html)
Daten der „ Seed Information Database“: (
http://data.kew.org/sid/sidsearch.html)
Capsicum annuum L.
Storage Behaviour: Orthodox
Storage Conditions: Viability is halved after 4 years open storage (Ewart, 1908). Seeds maintained for 2-4 years in commercial storage conditions (Priestley, 1986). Average germination change 74 to 16%, mean storage period 28 years, 4 lots stored at NSSL, Fort Collins (initially at 5°C with <40% r.h. for 15 years, then hermetically at -18°C), p50= 27 years (Roos & Davidson, 1992)
Capsicum frutescens L.:
Storage Behaviour: Orthodox
Storage Conditions: Orthodox; 69% germination following 28 years storage at room temperature (Harrington, 1972); initial germination 93% with seeds at 6.2% mc, 93% germination after 180 days storage in liquid nitrogen (Stanwood& Roos, 1979); seeds not damaged from exposure to liquid nitrogen (Stanwood & Bass, 1981); no problem for long-term storage under IPGRI preferred conditions (SSLR)
Capsicum annuum var. glabriusculum
Storage Behaviour: Orthodox
Storage Conditions: 100 % viability following drying to mc's in equilibrium with 15 % RH and freezing for 24 days at -20C at RBG Kew, WP
Was beeinflusst wie lange Orthodoxer Samen gelagert werden kann?
• Samenfeuchtigkeit
• Lagertemperatur
• Ursprüngliche Samenqualität
• Pflanzensorte
Samenfeuchtigkeit und Haltbarkeit
Eine Daumenregel (Harrington’s Rule) lautet, dass die Samenhaltbarkeit sich verdoppelt für jede Reduktion der Samenfeuchtigkeit um 1 %
Lagertemperatur und Haltbarkeit
Eine Daumenregel (Harrington’s Rule) lautet, dass sich die Haltbarkeit verdoppelt bei jeder Temperaturreduktion um 5 Grad.
Wer es genau ausrechen will:
(Ellis & Roberts, 1980)
Ein Rechner für die Formel gibt es hier, die Daten für Capsicum annuum sind recht schwer zu finden, deshalb habe ich sie bereits eingetragen:
http://data.kew.org/sid/viability/p...p=20&initpercent=95&finalpercent=50&constid=0
Die Daten für Capsicum annuum habe ich folgendem Aufsatz entnommen: „Derivation of Constants (K E, C W ) for the Viability Equation for Pepper Seeds and the Subsequent Test of Its Applicability “
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&ved=0CDYQFjAA&url=http://www.researchgate.net/publication/234001094_DEMR_2009_Biber_Viability_equation_Hortscience/file/32bfe50e03d56c34d8.pdf&ei=xaypUdiDEtDNswa6yYGgCQ&usg=AFQjCNGqYP7OarGqHiVZYypza5LqNEFBKA&bvm=bv.47244034,d.Yms
Die Schlussfolgerung:
Trocknen ist wichtiger als das Lagern bei niedrigen Temperaturen!
Für eine optimale Langzeitlagerung muss als erstes der Samen optimal getrocknet werden und erst dann kommt die Kühlung des Samens.
Bei der Kombination Trocknung und Einfrieren ist eine Lagerung selbst für die nächste Generation kein Problem.
Literatur:
- Geniale Seite zu diesem Thema, nach kurzer Zeit beherrscht man die nötigen Fachbegriffe:
http://data.kew.org/sid/storage.html
- Wer seine eigene Gendatenbank gründen will findet hier die Standards: DRAFT REVISED GENEBANK STANDARDS FOR THE CONSERVATION OF ORTHODOX SEEDS
www.fao.org/docrep/meeting/022/MB179E.pdf?
- Auf deutsch aber etwas schwach: Langzeitlagerung von Saatgutproben in „ultra dry seed storage“ zur Lagerung pflanzengenetischer Ressourcen in Genbanken d-nb.info/1027353592/34?
So, das Wissen ist jetzt da, jetzt heißt es Anwenden!
Wieso sind einige erfolgreicher bei der Samenlagerung als andere?
Meine Theorie:
Auffällig ist, dass anscheinend viele Pragmatiker sehr erfolgreich bei der Lagerung sind. Samen erst gründlich trocknen, dann in ein Papiertütchen - wie zu Großvaters Zeiten - und dann an einen trocken kühlen Ort (Nachttischschublade). Das Erfolgsgeheimnis liegt in dem Papierumschlag. Verbleibende Restfeuchtigkeit, falls der Samen doch nicht so perfekt getrocknet war, kann durch das Papier austreten und der Samen trocknet mit der Zeit weiter. Es wird zwar keine extrem trockener Samen erreicht, aber doch nahe an dem, was ohne zusätzliche Hilfsmitte möglich ist.
Eine andere beliebt Technik der Samenaufbewahrung sind luftdichte Behälter wie z.B. ZIP-Beutel, Filmdosen usw. Diese luftdichten Behälter werden der Grund sein für die gelegentlich niedrigen Keimquoten.
Luftdichte Behälter sind optimal für sehr trockenen Samen. Wurde z.B. der Samen mit Trockenperlen auf eine besonders niedrige Feuchtigkeit getrocknet, dann ist so ein luftdichter Behälter notwendig. Für alle Anderen stellt so ein luftdichter Behälter aber eine potentielle Gefahr dar. Wenn der Samen nicht gründlich getrocknet wurde, wird die Feuchtigkeit mit dem Samen eingeschlossen. Der Samen bleibt während der gesamten Lagerdauer feucht und die Haltbarkeit sinkt dadurch extrem. Wer Samen nur nach kurzer Trockendauer oder nach einigen Tagen mit hoher Luftfeuchtigkeit luftdicht verschließt geht das Risiko ein, dass sein Samen nicht sehr lange halten wird!
Lagerung bei niedrigen Temperaturen
Gut getrockneter Samen, der korrekt eingefroren wurde kann also leicht auch für die nächste Generation aufgehoben werden. Wichtig ist nur, dass der Samen nicht zwischenzeitlich auftaut (Anfassen des Behälters, neu einzufrierende Lebensmittel, die die Temperatur im Umfeld erhöhen), da sonst jedes Mal die Gefahr beim Wiedereinfrieren besteht, dass Eiskristalle die Zellmembran zerstören. Eine gute Alternative ist der Kühlschrank wenn er nicht zu kalt eingestellt ist (Temperaturen um 0 Grad dürfen nicht erreicht werden). Bei 10 Grad anstatt 20 Grad vervierfacht sich die Haltbarkeit bereits. Das Problem im Kühlschrank ist aber die Feuchtigkeit der Samen niedrig zu halten. Das ist anscheinend gar nicht so einfach! Siehe:
http://www.seedcontainers.net/a_guide_to_long-term_seed_preservation.html Es gibt anscheinend wenige Verschlüsse, die wirklich langfristig das Eindringen von Feuchtigkeit verhindern.
Zu diskutieren ist, ob ST-Trockenperlen = Silicagel eine Lösung für das Problem darstellen können. Die Trockenperlen senken die Luftfeuchtigkeit auf 0%. Das besondere an den ST-Trockenperlen ist, dass sie mit einem Farbindikator ausgestattet sind und die Farbe mit zunehmender Wasseraufnahme von orange nach grün wechselt. Man kann also leicht erkennen wann Gefahr besteht, dass der Samen feucht wird und wenn nötig die Trockenperlen und/oder den Verschluss austauschen.
Ob Trockenperlen den Samen über den „kritischen Feuchtigkeitslevel“, ab dem der Samen nicht länger Keimfähig ist, trocknen können probiere ich bereits seit 20 Tagen aus. Ergebnisse folgen.
So, jetzt habe ich mich 2 komplette Tage nur mit Chilisamen beschäftigt und meine Steuererklärung ist immer noch nicht fertig! Ich hätte Naturwissenschaften studieren sollen anstatt von BWL, dass macht mehr Spaß! Ich hoffe, dass dieser Text dafür sorgt, dass es in Zukunft weniger Chililiebhaber gibt, die über nicht keimenden Samen klagen müssen!