1) Warum (event. sogar radikaler) Rückschnitt vorab (bis hin z.T. empfohlen zu den Wurzeln), inklusive eventueller "Rücktopfung" (= in kleineres Gefäß)? Das schwächt die Pflanze doch zusätzlich zu den veränderten Umweltbedingungen - sollten wir sie nicht "einfach in Ruhe lassen" und den Rückschnitt erst vor Übersiedlung zu regulären Bedingungen machen?
2) Welchen Vorteil haben so behandelte Pflanzen gegenüber Neu-Anbau? Dermassen "beschnittene" Pflanzen können doch keinen Startvorteil haben, oder? Und wenn ja, warum?
3) Warum "Entblätterung" (unabhängig von davor), wenn sie noch Laub haben? (auch irgendwo gelesen)
Man muss den Status quo einer Pflanze immer als die bestmögliche Anpassung an die letzten Umweltbedingungen verstehen. Das heisst, eine Chili die den Sommer über gut gewachsen ist, hat sich damit an die im Sommer herrschenden Licht- und Temperaturbedingungen angepasst. Hohe Temperatur bedeutet hoher Stoffwechsel. Viel Licht bedeutet, dass viel Blattmaterial ausgebildet werden kann um den Stoffwechsel (s.O.) mit Lichtenergie zu versorgen.
Was passiert nun im Winter, wo die Lichtintensität runtergeht?
Wenn die Temperatur relativ hoch bleibt (z.B. weil die Pflanze drinnen im beheizten Raum steht) würde der Stoffwechsel genauso weiterlaufen, es ist aber nicht mehr genug Licht vorhanden um den Energiebedarf der Pflanze zu decken. Die hohe Biomasse (Größe der Pflanze, Anzahl Blätter, usw) ist hier ein Nachteil: Alles verbraucht Energie, aber es kommt einfach nicht genügend Licht an.
Wenn die Temperatur erniedrigt wird, verlangsamt sich der gesamte Stoffwechsel. Wenig Licht + niedrige Temperatur ist daher besser als wenig Licht + hohe Temperatur. Die Größe der Pflanze spielt keine so starke Rolle mehr. Allerdings ist es natürlich für eine Pflanze dennoch suboptimal, wahnsinnig viel unnützes Blattmaterial über den Winter mit sich herumzutragen.
Pflanzen tendieren dazu, sehr ökonomisch zu sein; d.h. Blätter werden prinzipiell ausgebildet wenn
bei den momentanen Umweltbedingungen "ein Blatt mehr" Vorteile verschafft. Andersherum werden Blätter abgeworfen wenn "ein Blatt zuviel" da ist. Das Beschneiden der Pflanze versucht, künstlich diesen "Gesundschrumpfungsmechanismus" zu unterstützen, der bei Chilis (als normalerweise ganzjährige Pflanzen in wärmeren, sonnenreicheren Gefilden) natürlicherweise nicht ausgeprägt ist.
Wurzeln sollten dann auch mitbeschnitten werden, da die Wurzeln als lebendes Gewebe natürlich auch Energie verbrauchen und ein großer Wurzelballen quasi von viel Blattwerk "miternährt" werden muss. Bei einer Pflanze sollte Wurzelwerkgröße immer zu oberirdischer Größe proportional sein.
Welchen Vorteil beschnitten überwinterte Pflanzen im nächsten Jahr haben, muss jemand mit Praxiserfahrung dazu beantworten (würde mich übrigens auch interessieren, da ich überlege, das zu tun).
Hoffe das bisschen Theorie von einem totalen Chili-Anfänger ist für den ein oder anderen interessant