Kennt ihr das? Ihr habt eine bestimmte Info schon mehrfach gehört / gelesen, euch sogar schon recht intensiv damit beschäftigt und trotzdem gerät sie irgendwie wieder weitgehend in Vergessenheit. Dann hat man wochenlang Probleme mit den Pflanzen, stößt dann durch Zufall (danke Youtube Vorschläge!) wieder auf besagte Info und denkt sich "Scheiße bin ich ein Idiot - das war doch so offensichtlich!".
So ging es mir gestern Nacht, als Youtube mir ein Video vorschlug, das ich tatsächlich nicht nur schon mehrfach gesehen hatte, sondern zu dem ich auch den zugehörigen Artikel durchgelesen und das entsprechende Tool heruntergeladen hatte. Keine Angst, ich verrate gleich worum es geht, aber ein kleiner Spannungsbogen muss sein.
Wie ihr ja aus meinen letzten Reports / Videos wisst, hatten meine Pflanzen diverse Problemchen. Erst die Fatalii, die noch im Root Riot Tab von einem Moment auf den Anderen Nekrosen an den Blatträndern bekam. Dann zeigten auch noch etliche andere Pflanzen Überdüngungssymptome in der Komposterde, die ich doch extra im letzten Sommer mit verschiedenen Sämlingen getestet und für sehr gut befunden hatte!
Dazu ledrige und eingerollte Blätter bei der Aji Crystal. Was zum Donner war da los? Klar, mein komplettes Setup (Licht, Lüfter, Töpfe) war neu, aber ich kannte eigentlich die Erde und die Samsung Dioden habe ich auch in anderen Aufbauten schon seit Jahren im Einsatz. Auch kräftige Umluft war für mich jetzt kein Novum und funktionierte früher meist ohne solche Probleme.
Gestern Nacht dann also die große Erleuchtung! VPD!
Diese drei Buchstaben stehen für "Vapor Pressure Deficit" und sind in etwa so wichtig für die erfolgreiche Pflanzenzucht, wie sie kompliziert sind - leider.
Hinzu kommt, dass insbesondere die Luftfeuchtigkeit ein Faktor ist, der sich nicht gerade leicht beeinflussen lässt. Im Zelt noch eher, aber in meiner offenen Anzucht... Ich kann ja nicht täglich drei Stunden mit offener Badezimmertür heiß duschen. Obwohl...
Aber zurück zum Thema. Hier zunächst einmal das Video, das mich gestern wieder auf die VPD Thematik gestoßen hat:
Und hier die Grundlagenlektion zum VPD vom gleichen Youtuber:
Und wer Mühe hat dem verbalen Stakkato im Video zu folgen, hier ein Text-Link:
https://pulsegrow.com/blogs/learn/vpd
Leider scheint die Seite von Everest Fernandez, der dazu auch einen sehr guten Artikel geschrieben hat, nicht mehr online zu sein...
Es gibt auch entsprechende Artikel auf Deutsch, wenn man auf Google dazu sucht. Da diese aber alle auf Cannabis-Seiten verweisen, verzichte ich an dieser Stelle vorsichtshalber auf eine Direktverlinkung.
Dafür gibt es hier noch ein Online-Chart, das abhängig von der Temperaturdifferenz der Blätter die entsprechende VPD-Matrix zeichnet:
http://opennlabs.com/vpd/VPD_calculator.php
Kurz zusammengefasst ist VPD die Druckdifferenz zwischen Blattinnerem und Außenwelt, welche sich durch die relative Luftfeuchtigkeit der Luft sowie deren Temperatur und die Temperatur der Blätter ergibt und die Durchsatzrate von Wasser und Nährstoffen durch die Pflanze beeinflusst. Diese Info nun wieder frisch vor Augen, machen plötzlich alle meine Probleme einen Sinn: Meine RLF lag in den letzen Wochen zwischen 35 und 50% bei einer recht konstanten Temperatur von 23-24°C. Mein VPD lag also zwischen akzeptablen 1,15 kPa (50% RLF und hoher Lampenabstand im neuen Regal) und - insb. für Jungpflanzen - katastrophalen 1,76 kPa. Als wäre das nicht schon problematisch genug, habe ich ausgerechnet am Anfang, als die Pflanzen noch klein waren, besonders viel Wind ins Spiel gebracht. Vor dem Hintergrund ist es fast schon erstaunlich, dass meine Probleme nicht noch deutlich größer waren.
Das würde auch sehr gut erklären, warum meine Test-Sämlinge im Sommer, bei >60% RLF in der Wohnung wunderbar mit der Komposterde zurechtkamen, während sie zuletzt durch die Bank Überdüngssymptome zeigten.
Nun stehen meine Pflanzen seit exakt einer Woche im großen Regal, weiter weg von den Lampen und somit mit kühleren Blättern. Seitdem ist es außerdem wetterbedingt wieder etwas feuchter geworden. Mein momentaner VPD liegt bei gut 1,4 und der Venti steht seit einer Woche fast ausnahmslos still. Keine Traumwerte, aber ganz offensichtlich schon eine klare Verbesserung.
Die Aji Crystal hat inzwischen fast alle Blätter wieder aufgerollt. Nur die jungen Austriebe zeigen weiterhin die bekannten Symptome. Aber gut: mein VPD ist ja auch weiterhin zu hoch, nur eben nicht mehr ganz so katastrophal und ohne den zusätzlichen Windstress.
Auch die eher blasse Farbe der Madame Jeanette bessert sich seitdem. Gedüngt wurde nicht. Ich gehe ohnehin davon aus, dass sie zuvor durch die hohe Verdunstung einen allgemeinen Nährstoff-Überschuss aus der Erde hatte (evtl. Calcium als Problemfaktor), was dann die Stickstoff- und Eisenverwertung im Blatt gestört hat. Zumindest würde das als Erklärung zu den Aussagen im oben verlinkten Video passen:
Dieser Erkenntnis folgend, hat meine letzte noch in einem Anzucht-Tab befindliche Hallows EVE nun erstmal einen Deckel bekommen. Die stagniert nämlich seit Tagen, hat aber noch zu wenig Wurzelbildung, als dass ich sie schon umtopfen wollte. Mal schauen, ob eine RLF von 70% einen nennenswerten Unterschied macht.
Soweit mein heutiges Update. Ich hoffe, das Thema ist für den ein oder anderen hier interessant und liefert euch vielleicht die lange gesuchte Erklärung für immer wieder auftrende Probleme in der Anzucht.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende,
Daniel